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Raus aus dem Grau!

Betty Baloo am Mo., 18.09.2017 - 17:19

Ich hielt es nicht mehr aus in dieser meiner Heimatstadt, in der es von Tag zu Tag mehr grau und menschlich unfreundlich zu werden schien. So viel an persönlicher Kraft hatte ich in den letzten Monaten dafür verwendet, das nächste drohende Unheil abwenden zu helfen. Nächte hatte ich mir um die Ohren geschlagen, um griffige, neue Ideen auszudenken und umzusetzen und zusätzlich eilte ich von Ort zu Ort, um Flugblätter zu verteilen, Banner zu malen und hochzuhalten, MitstreiterInnen Beistand und mentale Hilfe zu sein.

Ich redete mir den Mund fusselig, wenn ich schlecht-, falsch- oder uninformierte Menschen aufklärte und ich redete ihn mir fransig, wenn ich Mitwirkung und Hilfe für die Umsetzung eigener Ideen suchte, um anschaulich zu erklären, welche Hoffnungen ich mit Aktionen im Öffentlichen Raum damit verband.

Für Persönliches fand ich kaum mehr Zeit. Alles Eigene musste entweder warten oder wurde im Laufschritt erledigt, um ja keine Zeit zu verlieren. Freizeit und Entspannung fand ich lediglich beim Nachmittagskaffee, aber selbst dort wurde weiter philosophiert und ersonnen. Als alle meine Körperfunktionen auf einmal auf dem Kopf standen und ich registrierte, dass mich das entfachte Feuer für Gerechtigkeit und Mitbestimmung beinahe ausgebrannt hatte, wusste ich, dass ich dringend Abstand von allen verstörend machenden Einfluss brauchte, packte ein paar Sachen, nahm meinen Lebensmenschen an der Hand und flüchtete vom Grau der Stadt ans Blau des Meeres.

Anfangs wusste ich mit mir und meiner neu gewonnenen Freizeit gar nichts anzufangen, so leer war es um mich herum. Doch dann sammelte ich mich und vertiefte mich in die mitgebrachte Literatur, genoss das Schwimmen im Meer und das undefinierbare Gewusel im Café am Marktplatz, trank am Abend ein gutes Glas Wein und freute mich, dass ich wieder schlafen konnte.

Bereits nach 3 Tagen fühlte sich mein Leben an, als hätte ich 3 Monate Auszeit genossen. 10 Tage lang versuchte ich, nicht an Zuhause zu denken, las eineinhalb Bücher aus, tingelte durch die üppig grüne Landschaft und genoss das fremde Land. Dann aber überfiel mich Heimweh und wir packten zusammen und machten uns auf den Weg. Ein wenig komisch war mir, denn ich hatte keine Ahnung, was mich an Neuem erwarten würde.

Als wir die Österreichische Grenze erreichten, strahlte nicht nur die Sonne sondern auch der Grenzbeamte und begrüßte uns mit einem „Willkommen daheim!“ Wir schauten einander an und konnten es kaum glauben. Mit einem Lächeln auf den Lippen fuhren wir weiter und erreichten alsbald Graz.

Als wir das Ortsschild „Graz“ sahen staunten wir nicht schlecht, denn da stand: „Die Grazer*innen heißen alle Gäste herzlich willkommen!“ Am Weblinger Kreis waren während unserer Abwesenheit die Umbauarbeiten beendet worden. Wir trauten unseren Augen kaum, denn entlang der Einfahrtsstraßen waren an beiden Seiten  Alleebäume gepflanzt worden. Ich rief aus: „Jö schau, wie schön, hast Du das gewusst?“

Dann führte uns unser Weg an diesem grässlichen, aufgelassenen Einkaufszentrum vorbei, wo gerade unzählige Menschen mit Arbeiten aller Art beschäftigt waren. Auf der Bautafel stand zu lesen: „Wir setzen das Recht auf Wohnraum um und schaffen leistbare Gemeindewohnungen!“ Ich schüttelte den Kopf und fuhr weiter. In der Harter Straße dann wieder geschäftiges Treiben und der Hinweis: „Wir machen Radfahren attraktiv und sicher. Hier entsteht ein neuer Radweg. Wir entschuldigen uns für abschnittsweise, temporäre Behinderungen!“. Ich war fassungslos.

Zuhause angekommen, trafen wir auf unsere Nachbarn die uns herzlich begrüßten und uns erzählten, dass der Bau des Murkraftwerks Graz gestoppt wurde und sie gerade zu einer Versammlung auf den Hauptplatz unterwegs seien, um Neuigkeiten zu erfahren. Das interessierte uns natürlich brennend und so gingen wir gemeinsam zur Bushaltestelle und erreichten diese als der Bus in die Station fuhr. Ich stieg wie immer beim Fahrer vorne ein und wollte zwei Tickets kaufen. Schaut mich dieser verwundert an und sagt: „Ja wissen Sie denn nicht, dass die Öffis in Graz jetzt alle kostenlos benutzt werden dürfen, um den Individualverkehr einzudämmen?“

Als wir dann am Jakominiplatz ausstiegen, war alles aus, denn dort waren während unserer Abwesenheit alle Wartehäuschen vergrößert und begrünt worden. Als ich laut staunte, meinte meine Nachbarin: „Ja und in der Nacht sind die Wartehäuschen und die Fahrpläne gut beleuchtet. Das Licht dafür kommt übrigens von Sonnenkollektoren die in die Dächer eingelassen sind; übrigens auch die Wärme der beheizten neuen Sitzbänke, deren Betrieb über Sensoren geregelt ist. “

Als wir zum Ring vor kamen ging das Staunen fröhlich weiter, denn es waren nicht nur extrem wenig Autos unterwegs, sondern auch genügend Stellplätze frei. Außerdem lief uns  bis dorthin nicht ein einziger Parkraumwächter oder ein Ordnungswachepärchen über den Weg. Dass entlang der Herrengasse und auch auf den Seitengässchen zusätzlich Bänke zum Rasten und Mininaschgärten aufgestellt waren, überraschte mich jetzt fast gar nicht mehr, erfreute mich aber doppelt.

Gespannt war ich umso mehr, was es Neues zum Murkraftwerk zu berichten gäbe, dass sogar zu einer Versammlung am Hauptplatz eingeladen wurde. Als wir ankamen waren schon viele Menschen versammelt, zahlreiche Bekannte grüßten uns freundlich.

Da trat auch schon der Bürgermeister auf den schmalen Balkon. Von dort hatte ich zuvor noch nie einen Stadtvater direkt auftreten und sprechen gesehen. Die Menschen applaudierten. Der Bürgermeister winkte ab und begann zu sprechen:

„Liebe Grazerinnen und Grazer!“

Ich habe Sie heute zusammengerufen, weil ich mich bei Ihnen entschuldigen möchte. Nach eingehenden Gesprächen mit meiner Frau, ist mir nämlich bewusst geworden, dass ich mit meinen Entscheidungen nicht nur jene von Ihnen vertreten darf, die sozial abgesichert sind und in Wohlstand leben, sondern vor allem gute Entscheidungen für jene treffen muss, die es in diesem gesellschaftlichen Gefüge nicht so gut erwischt haben.

Ich habe mir deshalb noch einmal alle Fakten durch den Kopf gehen lassen und bin zum Schluss gekommen, dass der Bau des Murkraftwerks für uns alle schädlich ist. Deswegen habe ich veranlasst, den Bau augenblicklich zu stoppen, die Absperrungen wegzuräumen und mit sinnvollen Alternativen zu beginnen.

Als erstes soll statt des begonnenen Murkraftwerks ein für alle Menschen dieser Stadt frei und dauerhaft unentgeltlich zugänglicher Park errichtet werden. Dieser soll ineinander übergehende Zonen für Menschen aller Altersgruppen und Kulturen bieten.

Gleichzeitig werden wir die Regenwasserbewirtschaftung neu regeln und Zisternen und Brunnen an jedem öffentlichen Platz planen und installieren. Wir werden erneuerbare, vielfältige Energie forcieren und fördern, damit die Menschen dieser Stadt ausreichend  Möglichkeiten bekommen, ihre Energiequelle selbst zu wählen.

Weiters werden wir den Klimawandel bekämpfen, indem wir großflächig Grünpflanzungen durchführen und begrünte Wohnobjekte verwirklichen.

All diese Tätigkeiten werden dazu führen, dass wir zudem neue, gesunde Arbeitsplätze schaffen.

Damit wir alle Vorhaben schnellstmöglich umsetzen können, bitte ich Sie persönlich um Ihre demokratische Beteiligung.“

Es folgte nicht enden wollender Applaus und ich dachte:

Positives Ende:  „Wie gut, dass manche innigen Wünsche wahr werden!“

Negatives Ende: „Wo bin ich?“ und erkannte schmerzlich, dass alles nur ein Traum war.

 

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