Während meiner Schulzeit sagten meine Eltern: „Mach eine gute Ausbildung, damit Du eine Anstellung in einer ordentlichen Firma bekommst mit deren Lohn Du Dein Auskommen findest!“
Ich habe ihren Rat befolgt. Absolvierte erfolgreich eine höhere Schule mit der Berechtigung gleich für mehrere Berufe, setzte mich auf Anhieb gegen ein Heer von Bewerberinnen durch, um als „Mädchen für alles“ ins Arbeitsleben katapultiert zu werden.
Meine Laufbahn als Chefsekretärin begann. Während 18 Berufsjahren habe ich viele heroische Augenblicke, tragische Schicksale, Lob und Tadel in einem Atemzug, nette und mobbende Kollegen miterlebt. Eines Tages wusste ich, dass ich den schmalen Grat zwischen gebraucht und geächtet werden nicht mehr ertragen will. Auch nicht die grenzenlos egomanischen Chefs, die mehr für publicityträchtige Events und geduldiges Papier über hatten, als für die Frauen und Männer ihres Teams, ohne die sie selbst nie dort gewesen wären, wo sie waren.
Ich erkannte, dass ich dem Druck im Privatleben nicht Stand halten könnte, würde sich mein sehnlicher Wunsch nach einem Kind erfüllen. Ich begann eine weitere Ausbildung neben dem Vollzeitberuf.
Ich wurde Mutter. Im Übergang zu meiner Selbständigkeit war ich das erste Mal arbeitslos gemeldet.
Eigentlich entwickelte sich alles recht gut, bis ich mich scheiden ließ.
Merksatz: „Begehe 3 Fehler keinesfalls: Werde nicht Mutter, will Dein Kind nicht aufwachsen sehen und lass Dich nicht scheiden!“
Ich war mit einem Schlag zur doppelten Aussteigerin geworden, weil ich vorsätzlich aus zwei „sicheren Verbindungen“ ausgestiegen bin; aus dem Angestelltendasein und dem Eheleben, was recht schnell finanzielle Wirkung zeigte.
„Self-Made-Woman“ die ich war, versuchte ich das Beste daraus zu machen.
Beim Siedeln wurde mir klar, dass Besitz Last ist. Ich hatte zu viel von Allerlei, von dem ich mir jetzt nicht einmal einen Laib Brot kaufen konnte. Wozu hatte ich all das gebraucht? Um in dieser Gesellschaft etwas „wert“ zu sein?
Die neue, kleine Zwischenwohnung erforderte, mich von vielen Dingen zu trennen. Nachdem ich damit begonnen hatte, wurde aus der Notwendigkeit ein Anliegen, denn ich fühlte mich dadurch sonderbar leicht und befreit.
Das half mir beim Loslassen und Loslösen und machte recht bald sogar Spaß. Ich bin jetzt viel offener für neue Impulse. Durch glückliche Fügung fand ich dann die Wohnung mit Garten, die ich mir schon immer gewünscht hatte und die mir ein noch sparsameres und gleichzeitig eigenbestimmtes Leben sichert.
Von Menschen mit wenig Einkommen verlangt man, dass sie nicht nur mit wenig auskommen sollen, sondern auch, dass sie sich möglichst gesund halten, um „die Gesellschaft“ nicht zu belasten.
Ich begann gemeinsam mit meinem neuen Partner, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Wir unternahmen Wanderungen und machten einen Sport daraus, im öffentlichen Raum Obst zu sammeln, das wir niemandem weg nahmen und das uns Genuss, Gesundheit und Freude brachte. Aus dem Anliegen, die Ressourcen der Erde bestmöglich zu nutzen, entwickelte ich die „Hexenküche“, die mit ihrem Tun Menschen mit wenig finanziellem Background verbindet und sowohl Rohstoffe, fertige Produkte, Saatgut und Kenntnisse untereinander teilt und Überproduktion an Dritte verkauft, um damit wieder Neues zu produzieren.
Als Aktionskünstlerin mache ich mit meinen Aktionen Passanten auf Miss- und Zustände aufmerksam. Ich setze den Menschen von der Straße „Vitaldenkmäler“, um zu zeigen, dass jeder Mensch wichtiger Bestandteil der Gesellschaft sein könnte und er/sie nicht nur über seinen/ihren Erwerbs-Beruf identifiziert werden sollte. Ich nähe selbst designte Kleider, die vor ihrem Tragen schon „befleckt“ sind, um zu zeigen, dass das Leben Spuren hinterlässt, die nicht „sauber“ zu kriegen sind. Ich fertige großformatige Collagen, die auf den Schutz der Erde aufmerksam machen sollen.
Ich habe die Kindertheatergruppe „Alles Theater“ ins Leben gerufen, die zeigt, dass wir mit wenig Druck an einer gemeinsamen Sache viel Freude haben können. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass auch weniger talentierten Schauspielerinnen ihren Platz in der Gruppe finden, weil uns das gemeinsame Schaffen wichtig ist.
Natürlich gehe ich noch immer meiner „neuen“ Profession als prekäre Ein-Person-Unternehmerin nach, die nicht nur das Überleben sichert, sondern mir ermöglichte, mein Kind zu einem jungen Mann heranwachsen zu sehen und heute auf eine solide Mutter-Kind-Beziehung zu blicken.
Weil ich weiß, dass ich jederzeit noch tiefer in die Armutsfalle schlittern kann, engagiere ich mich ehrenamtlich im Verein „Aktive Arbeitslose“. Hier erfahre ich tag-täglich, dass vielen Menschen durch das Aufzwingen von bürokratischen Regeln unter permanenter Androhung des Existenzentzuges durch Bezugssperren abhängig, diszipliniert und unfrei gemacht werden. Zeit und Energie für eine selbst bestimmte Neuorientierung wird ihnen genommen. Gleichzeitig wird zum Vorwurf gemacht, sie würden zu wenig Eigeninitiative entwickeln.
In dieser äußerlich reichen Gesellschaft gelte ich als arm, denn arm ist der- oder diejenige, die nicht am Wettbewerb und Wachstumszwang der Arbeits- und Konsumgesellschaft teilnehmen, wie es „die Anderen“ können. Ja, wir können uns keinen Wellnessurlaub leisten. Wir haben nicht die neuesten – und kurzlebigen – technischen Groß- und Kleingeräte. Wir verzichten auf nicht unbedingt Notwendiges. Wir kaufen Kleider oder Geräte gebraucht, tauschen und teilen mit anderen.
Ja, wir sind arm, aber nur materiell. Diese materielle Armut allerdings ist es, die die Frage nach wirklichem, und innerlichem und gesellschaftlichen Reichtum stellt. Sie ist es, die mich anspornt neue Ideen zu entwickeln. Sie ist es, die mich eingefleischte Muster aufbrechen und verlassen lässt.
Ich habe mein Leben - das ist ja auch letztlich mein einziger Beisitz - das ich so liebe wie es ist, denn ich habe Freude daran, wenn ich meinen Bohneneintopf von selbst gesammelten Bohnen mit jemanden teilen kann.
Erschienen im Mandelbaum Verlag: ISBN 978-3-85476-457-1
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